Artist in Residence / 1. – 30. November 2020
Der öffentliche Raum und der Konsum
Das „Grüne Haus“ ist ein nahezu leerstehendes Gebäude inmitten der Altstadt Kemptens. Die Architektur, vermutlich aus den 1960 er Jahren, die auf der Basis eines der ältesten Häuser aus dem Mittelalter gebaut wurde, zitiert, in äußerst reduzierter Form, barocke Fassadengestaltungen.
Im Erdgeschoß befinden sich hinter gewaltigen Arkadenbögen geräumige Verkaufsräume. Schon lange herrscht Leerstand.
Der öffentliche Raum in der Altstadt ist vor allem durch Ladenzeilen mit großflächigen Schaufenstern geprägt. Das Angebot ist vielfältig: Mode, Wohnungsdekoration, Fotoartikel, Dienstleistungen aller Art und selbstverständlich Lebensmittel und Gastronomie.
Auffallend sind die knalligen und markigen Werbungen für das, was drinnen verkauft wird. Sie fluten in den öffentlichen Raum hinaus, nicht nur durch reizende Schaufensterdekorationen, unterstrichen von verlockenden Rabattangeboten, sondern auch in Form von Plakataufstellern und Warenständern. Ständig wechselnde Angebote. Die Kauflaune soll aufrecht erhalten bleiben.
Es entsteht ein diffuses und wirres Stadtbild, das glänzend, sich gegenseitig spiegelnd, knallend farbig und grafisch äußerst divers die Emotionen der Passanten anspricht und in Ihnen Bedürfnisse suggeriert. Das Auge findet keinerlei Ruhepunkte, es sei denn der Betrachter wendet den Blick nach oben.
Diese Situation greift die Installation „Immer glücklich – wunschlos günstig“ auf.
Prospekte von Lebensmitteldiscountern, Möbelhäusern, Bau- und Gartenmärkten und Bekleidungshäusern sind eine Form der Werbung, die ich seit einigen Jahren immer wieder in unterschiedlicher Weise in meine Installationen integriert habe. Sie sind in mehrerlei Hinsicht spannend. Sie liegen unentgeltlich überall aus, werden als Wurfsendungen verteilt und als Zeitungsbeilagen zwischen die Seiten geschoben.
Werbepsychologisch perfekt arrangiert vermitteln sie einem potentiellen Käufer, dass er ein auf ihn zugeschnittenes Produkt in hoher Qualität zum unschlagbar günstigsten Preis erwerben kann, solange er sich entscheidet das Angebot sofort und nur im Laden des Händlers wahrzunehmen. Es ist eine besondere Art von Werbestrategie, die den Betrachter dazu zwingt, nicht schnell weiterzublättern, denn das könnte zum Verpassen außergewöhnlicher Angebote führen. Das will man ja nicht!
Dabei interessieren mich zwei Aspekte:
Die grafische Gestaltung des Druckwerks und die Art, wie die Artikel dargestellt und angepriesen werden.
Es sind fünf Elemente:
Die Fotografie des Produkts, der Text und die Typografie, die Zahlen, die Farbigkeit,
die grafische Komposition.
Die Fotografie
Jedes Objekt wird in einem Fotostudio aufgebaut, ausgeleuchtet und hochauflösend abgespeichert. Petersiliensträußchen
gesellen sich zu rohen Fleischstücken, Bananen werden von meist dunkelhäutigen Händen präsentiert, Fernsehsessel zeigen aufgeklappt sämtliche Funktionen, Blumen wuchern üppig über Gartenmauern.
Der Text und die Typografie
Zu jedem Produkt informiert ein Textblock darüber, worum es sich handelt, wie es beschaffen ist und oft woher es stammt.
Frische Putenbrustschnitzel – Teilstücke Natur, Boxspringbett „Rotterdam PLUS“ mit 7-Zonen Taschenfederkernmatratze,
Orchidee „Phalaenopsis“ mit 3 Blütentrieben.
Die Typografie wechselt ständig in Schriftart und Größe – regular, fett, kursiv.
Besonders bemerkenswert sind Wortschöpfungen, die sprachlich absolut unschlagbar sind:
Megabillig, supergeil, Sparvergnügen, Lieferluxus, Superknaller, Deine Knallerpreise, Fr.amstags und:
WUNSCHLOS GÜNSTIG! Nur die deutsche Sprache zu solch absurden Kombinationen fähig.
Die Zahlen
Selbstverständlich muss alles mit Preisen versehen sein. Zahlen, welche unverbindliche Preisempfehlungen der Produzenten angeben, sind durchgestrichen. Der reduzierte Preis steht darunter. Rabatte in Zehnerschritten von 10 – 50 % und in teils absurder Differenzierung wie 36%. Reguläre Preise jagen reduzierte quer über das Druckwerk. Die Größen der Zahlen sind manchmal so klein, dass sie schwer lesbar sind.
Häufiger stechen sie sofort ins Auge. Gegensätzlich verdecken sie manchmal einen Teil der Fotografien.
Die Farbigkeit
Es gibt Prospekte, die in ihrer gesamten Farbigkeit erstaunlich zurückhaltend sind. Besonders dann, wenn für deren Umweltfreundlichkeit geworben wird. Dagegen stehen knallige, oft den Gesetzen der Ästhetik widersprechende Kombinationen, wie rot auf gelbem Untergrund. Knallende, grelle Farben, werden bevorzugt aus der Farbpalette gewählt. Das ist logischerweise werbetechnisch konsequent, Komplementärkontraste sind beliebt. Manche Discounter wechseln von Prospekt zu Prospekt, manche verwenden das immer gleiche Muster als Wiedererkennungswert.
Die grafische Komposition
Was nahezu allen gemeinsam ist, ist die Aufteilung und Anordnung der fotografierten Waren in Form von vertikalen und horizontalen Aneinanderreihungen in derselben Größe. Oft wird diese durch Kästchen und Rahmen unterstrichen. Alles liegt nebeneinander in Regal- oder Vitrinen- artiger Reihung.
Selbstverständlich ist alles kein „Hexenwerk“. Aus werbepsychologischer Sicht längst Standard.
Ich habe mich lediglich einer Form von Werbung bedient, die nicht geeigneter sein könnte, den öffentlichen Raum um das „Grüne Haus“ herum, der vor allem vom Konsum geprägt ist, aufzugreifen und zu kommentieren.
Die Installation, die nur von außen zu sehen ist, besteht aus einer Zusammenstellung von Discountprospekten und applizierten Bildern und Texten, zumeist aus wissenschaftlichen Publikationen. Die Installation ist eine flirrende Collage.
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